wenn die junkies trauer tragen
es war gefühlte 80 jahre vor der erfindung des rades, da lydia koob in das leben der stadt weinheim trat. als wirtin des rodensteiner tat sie über jahrzehnte eigentlich nichts. jedenfalls nichts, um die bausubstanz ihrer kneipe und der ihr gehörenden umliegenden bauten zu erhalten. patina legte sich über das viertel. oder war es nur der staub, der nach und nach diesen halben straßenzug überdeckte? ich maße mir kein urteil an. sicher ist zumindest, dass das rodensteiner einem jeden in weinheim bekannt war. vielen als ein heimeliger ort des abhängens und fairer bierpreise. noch viel mehr anderen als ein numinoser ort erschröcklicher sagen und legenden.
all das ist nun geschichte. über dem lokal wohnten liebenswerte menschen, zu deren beschreibung der moderne ausdruck des abgehängten prekariats ein euphemismus wäre. rings um diesen ort wohnten kaum ein paar schritte entfernt immerhin gleich drei viel beschäftigte heroin-händler. und im rodensteiner ging allerlei volk ein und aus, bei dessen anblick der brave bürger die straßenseite wechselte und der geneigte sozialarbeiter feuchte augen bekam.
all das ist nun geschichte. kein kostenloses billard-spiel mehr mit dem einzig verbliebenen krummen queue, der aus respekt nicht einmal von den rüdesten banausen für die regelmäßigen kneipenschlägereien missbraucht wurde. kein muffiger duft mehr von feuchten wänden, kaputten klos und allerlei rauchwaren, den auch dreifach geweihtes persil den kleidern nicht entreißen konnte. keine glasigen augen mehr von einsamen herzen, die an diesem außerweltlichen orte bierselig zueinander fanden und auch den letzten jointstummel und die letzte nase glückspulver teilten. kein geschrei mehr, wenn lydia vergeblich versuchte, die fäuste am fliegen zu hindern, weil einer "bulle" gesagt oder eine kaum mehr als solche erkenntliche frau angeschaut hatte.
all das ist nun geschichte. der wirtschaftskontrolldienst hat die geduld verloren. nach jahrzehnten seufzender ergebenheit hat die staatliche macht ein wort derselben gesprochen. schade. sehr schade. das rodensteiner wurde zwangsgeschlossen. der straßenzug wird zwangsversteigert. der letzte hort der anderswelt in weinheim haucht nun sein leben aus. ein guter freund aus dem berliner umland beschrieb das rodensteiner einst mit den worten: "stell dir neukölln vor. fünfter hinterhof. sechster kohlenkeller. das ist gegen das rodensteiner ein nobles restaurant." so gesehen verliert weinheim eine einmalige kulturlandschaft, wie es sie nirgends in deutschland ein zweites mal gibt. nicht einmal im großen berlin, wo es angeblich alles geben soll. bitte legt mit mir eine schweigeminute ein. vielen dank.
darkrond - 20. Aug, 22:16
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